Danke für die NZZ – Zusammenstellung, die beschreibt, wie es nach dem Zusammenbruch der UDSSR zum zweiten Krieg in Europa kam. Ja, ich habe zusätzliche Quellen. Während meiner Zeit im Justizvollzug habe ich viel mit Menschen aus der ehemaligen UDSSR gesprochen. Im Haushalt meines Bruders lebt eine geflüchtete Ukrainerin, mit der ich auch schon einige Stunden über ihr Land und ihre Situation gesprochen habe. Meine wichtigste Quelle ist aber Andrij Kurkow. Ich lese seine Romane, die den Alltag der Menschen im Gebiet der Post-UDSSR beschreiben. Die Republiken der UDSSR waren reine Folklore. Mal herrschte ein Georgier namens Stalin in Moskau, mal verschenkte Chruschtschow die Krim an die Ukraine. Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus wurden die Republiken autonome Staaten. Von da an herrschte ziemlich viel Willkür, die Kurkow grossartig beschrieb. In Russland, dem Haupterben, der kommunistischen Katastrophe, macht Putin rabiat Ordnung. Bis 2013 konnten Menschen und Waren zwischen Russland und der Ukraine frei zirkulieren. Die Mehrheit der Ukrainer wollte Richtung EU. Janukowitsch wollte den Annährungs - Vertrag mit der EU nicht unterschreiben, denn damit wäre der freie Verkehr mit Russland nicht mehr möglich gewesen. Und jetzt kommt meine ganz persönliche Überzeugung: Kriege haben immer zuallererst wirtschaftliche Gründe. Eine Minderheit der Ukrainer sah ihre wirtschaftliche Zukunft in einer Kooperation mit Russland. Janukowitsch gehörte dazu. Die Mehrheit will in die EU. 2014 war dies auch die Parlamentsmehrheit. Es war aber keine ¾ Mehrheit im Parlament, mit der Janukowitsch abgesetzt werden konnte. Und weil er nicht abgesetzt wurde, musste er fliehen. Europäische Präsidenten fliehen in der Regel nicht, wenn sie den Rückhalt verlieren. Sie sitzen in ihren Ämtern, bis sie abgewählt werden. Und da ich nicht naiv bin, und von Kurkow weiss, wie viel Anarchie in der Ukraine herrschte, nehme ich an, dass sein Leben gefährdet war.
Es grüsst dich herzlich Kurt, Dezember 2022