Kurt Keller, Leser- und andere Briefe


den Fokus hat Pfeil


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Minarettverbot in der Verfassung


Alle Menschen entscheiden auf ihrem gesellschaftlichen und kulturellen Erfahr-ungshintergrund. Spricht sie ein Thema nicht an, werden sie Äusserungen dazu gar nicht zur Kenntnis nehmen. Alle Meinungsführenden nahmen an, dass in der Schweiz Kirchen und Staat getrennt sind. Doch wie fängt unsere Bundesverfassung an? Wer zieht für die anerkannten Religionsgemeinschaften die Steuern ein? Bund und die meisten Kantone und Gemeinden bevorzugen die "alten" Religionen auf vielfältige Weise. Und weil das so ist, wollte die Mehrheit diese Privilegien nicht mit einer neuen, stark gewachsenen Glaubensgemeinschaft teilen. Wäre es nur um Rechtsgleichheit und nicht auch um Privilegien gegangen, hätte man diese unglückselige Initiative mit dem Argument sachlich bekämpfen können: "Das Schweizerische Recht kennt weder Kirchturm noch Minarett, sondern nur Hochbauten." Statt auf dieser Schiene zu argumentieren, wurden von linken Stadtregierungen Plakate verboten. Der Schutz von religiösen Gefühlen wurde über die Meinungsfreiheit gestellt. Doch was ist ein Kirchturm mit überlautem Glockengeläute für einen Konfessionslosen anderes, als ein Marketinginstrument, um die Mitglieder an ihre Pflicht zu erinnern. Für einen konservativen Appenzeller bedeutet Glockengeläute jedoch Heimat. Er stellt sich eine Gleichbehandlung des Islam vor. Er nimmt an, dass, ähnlich wie beim Frauenstimmrecht, das Bundesgericht für Gleichheit sorgen wird. Auch der Muezzin dürfe, wenn auch etwas leiser als die Glocken, die Moslems an ihre Pflicht erinnern. Und das will er einfach nicht.


erschienen im Tages-Anzeiger, 11. Dezember 2009


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